Samstag, 31. März 2018

kein frühling

kein licht
kein grün
kein himmelblau
kein blumenbunt
kein menschenschön

Freitag, 30. März 2018

Ruhe halten

Vorhin unter der Dusche pfiff ich ein fröhliches Liedchen - und hielt plötzlich inne. Karfreitag! Der Sterbetag Christi.

Ich erinnere mich, daß wir als Kinder angehalten wurden, nicht zu toben, nicht zu schreien, nicht laut zu spielen und nicht zu streiten. Ruhe war angesagt, ein bißchen Ehrfurcht, ein bißchen Demut. Uns wurde keine Strafe angedroht, sondern vielmehr die Bedeutung und Erhabenheit des Tages erklärt. Und ich bin dankbar dafür, denn es hat mich gelehrt, mich zurückzunehmen, demütig zu sein und die Größe des heiligen Geschehens auf mich wirken zu lassen - bis heute. Immer noch vermag ich Ostern tief zu empfinden, mich ganz hineinzuversenken in die göttliche Opferbereitschaft, den heiligen Verzicht, das Wunder der Selbstaufgabe für den liebenden, menschheitsrettenden Zweck - und selbst ein winziges Abbild dieser Rücknahme des Eigensüchtigen zu leben, indem ich eben nicht pfeife, nichts genieße, nichts will außer Einkehr zu halten, meine Sorgen, Wünsche, Begehrlichkeiten und Beschwerden auf das richtige Maß zu stutzen und meine Wichtigkeiten zu ordnen. Tanzen zu gehen am Karfreitag - darauf käme ich in zehn kalten Wintern nicht. Zu sehr entspricht das heiß diskutierte Tanzverbot meinem eigenen Bedürfnis nach Ruhe und Verzicht, und ich bin seltsam gerührt, daß sich gerade dieses Stück allseits beschworener (und im Falle praktischer Auswirkung auf den Alltag ebenso heftig verfemter) christlich-abendländischer Tradition bis heute so hartnäckig gehalten hat.

Denn ob man die Geschichte Jesu nun wörtlich glaubt oder nicht, ob man religiös ist oder agnostisch, bibeltreu oder atheistisch - die Passion Christi bleibt eine mächtige Botschaft von Liebe und Erlösung, von Opferbereitschaft und bedingungsloser Hingabe an das Gute, kurz: der höchste ethische Maßstab, den ein Mensch, ein Buch, ein Glaube je gesetzt hat, und damit für Christen und Atheisten gleichermaßen vorbildtauglich. Man muß sie nur spüren, leise werden, innehalten, verzichten auf den Lärm, die Beschäftigung, den Impuls und die Unterhaltung, wenigstens einen Tag lang. Mich jedenfalls bereichert die ehrfürchtige Ruhe, die ich mir am Karfreitag auferlege, mehr als es tausend wilde Tänze vermöchten.

Sonntag, 4. März 2018

Erinnern zwischen Schuld und Verantwortung

Ein Artikel auf Zeit online beschreibt die Veränderung der deutschen Erinnerungskultur, die Verlagerung hin zur Opferattitüde und die schleichende Verdrängung des Schuldbewußtseins. Die Erinnerungskultur, so der Tenor, sei nicht weltmeisterlich - sie sei gescheitert.

Irgendwas stört mich an diesem durchaus richtigen und wichtigen Artikel. Vielleicht ist es die enge, fast bedingende Verknüpfung von Schuld und Erinnern. Es wird suggeriert, daß eine Erinnerungskultur nur dann echt und belastbar sei, wenn sie mit einem Schuldbewußtsein einhergeht. Eine Schuld jedoch, die niemals endet und nie vergeben werden kann, ist unerträglich; sie zu verdrängen ist mithin ein psychologischer Überlebensreflex. Und eine Schuldzuweisung für Taten, die man nicht selbst begangen hat, ist - das weiß nicht nur jeder Jurist - schlicht und einfach Unrecht.

Daß man also da, wo die Schuld von einer abstakten, das deutsche Volk historisch betreffenden, zu einer konkreten, über die eigene Familie sozusagen persönlich ererbten wird, Abwehrmechanismen entwickelt und eine Opferrolle zu konstruieren versucht, scheint mir menschlich nachvollziehbar. Richtig ist es indes nicht, denn es zeitigt ungute Folgen - und genau hier, nicht im Grundgedanken, die heutige Erinnerungskultur zu prüfen, ist der AfD ein Vorwurf zu machen. Wem es tatsächlich um eine tragende Erinnerungskultur zu tun ist, täte also gut daran, sich vom Schuldbegriff als konstituierendem Erinnerunsmerkmal zu lösen und das Erinnern an die unsäglichen Verbrechen des Nationalsozialismus und all seiner Millionen deutschen Helfer und Vollstrecker in eine Begriffssystematik einzuordnen, die sich mehr zwischen Identität und Verantwortung als zwischen Schuld und Sühne bewegt.

Denn wer das Deutsche an sich, die Zugehörigkeit zu dieser Nation, ihrer Tradition, ihrer Kultur und ihrer Geschichte als Teil seiner individuellen Identität beansprucht, kommt um den Holocaust nicht herum. Sich mit einer Nation zu identifizieren, kann nicht bedeuten, sich nur die guten und schönen, die großen und edlen Aspekte ihrer Vergangenheit herauszupicken und alles andere mit der Schuldkultkeule aus dem Gedächtnis zu knüppeln, sondern eben auch all das zu verinnerlichen, was schrecklich, grausam und verbrecherisch war. Daraus folgt aber dann keine persönliche Schuld, sondern eine Pflicht - die Pflicht nämlich, eine persönliche Verantwortung für die Zukunft ebenso in sein deutsches Selbstbild zu integrieren wie die Ableitung der individuellen Identität aus der kollektiven Vergangenheit.

Ich selbst fühle mich am Holocaust nicht schuld - warum sollte ich? Aber weil ich eben Deutscher bin, und das von Herzen gern und ganz bewußt, ist er - und erstrecht alles, was einige meiner Vorfahren dazu beigetragen haben mögen - Teil meiner persönlichen Identität und verpflichtet mich, alles in meinen Möglichkeiten stehende dafür zu tun, daß dergleichen sich niemals und nirgendwo wiederholt.

Deshalb erinnere ich mich. Deshalb mache ich mich zum Teil des Ganzen, das wir deutsche Geschichte nennen, und diese Geschichte zu einem Teil von mir. Und deshalb bin ich politisch, sozial und schreibend aktiv. Aber schuld bin ich nicht.