Montag, 27. Februar 2017

Unn dat wor et dann.

Als organisierte Lustigkeit wird er oft gescholten, als gezwungen kollektiver Frohsinn, als alljährliches Ausufern verklemmter Biederkeit - der Karneval. Einmal im Jahr darf sich auch der Spießer in seiner Maske Großmannsattitüden und Anzüglichkeiten erlauben, die seinem am Gelegenheitsmangel verebbten Triebleben ein winziges Ventilchen öffnen. Einmal im Jahr fallen die Grenzen des Alltags; die Hierarchien verschwimmen, und plötzlich wird der Langweiler zum Abenteurer und der Biedermann zum Piraten. Und wenn im Morgennebel die am kotzefeuchten Boden festgetretenen Konfetti von dröhnenden Kehrmaschinen aufgekratzt werden, verschwinden die roten Nasen aus den Gesichtern, und jeder nimmt brav und verkatert sein mediokres Lebensplätzchen wieder ein.

So könnte man es sehen. Und so ist es natürlich auch. Aber muß man immer alles derart übermoralisieren? Letztlich ist öffentlicher Spaß immer organisiert - ob beim Weinfest, auf der Kirmes, im Club oder beim Sportevent. Warum wird das beim Karneval so besonders betont?

Gewiß, der Humor ist platt, die Kostüme sind meist ziemlich bescheuert, die Garden nehmen sich lachhaft wichtig und die Manieren sinken hier und da auf ein viehisches Niveau. Dennoch habe ich dieses Jahr - zum ersten Mal seit langer Zeit - den Rosenmontagszug in meiner Heimatstadt Koblenz am Rhein sehr genossen. In der "organisierten Lustigkeit" zeigen sich auch gelebte Tradition, soziales Engagement, Gemeinschaftssinn, Integration und eine simple, aber humorige Meinungsäußerung. Und das sind gute Dinge, bei denen intellektueller Dünkel nur nervt. Der Karneval steht damit auch für alles, was unsere Gesellschaft liebenswert macht: Freiheit, Weltoffenheit, ein fröhliches Miteinander und Einsatzfreude.

Für ein paar Tage ist die Welt ein bißchen weniger dunkel, ein bißchen bunter und sorgloser. Und wenn die Konfetti zerstoben, die Luftschlangen zerfleddert und die Bierpfützen getrocknet sind und die Fastenzeit beginnt, dann wirken diese Werte nach, sickern in den Alltag und machen das Leben auch jenseits der roten Nasen vielleicht ein bißchen besser.

Samstag, 18. Februar 2017

Mein Museum

Ich gehe gern in mein Museum. Nicht jeden Tag, aber immer wieder. Alle Exponate darin pflege ich mit Sorgfalt. Auch die häßlichen. Auch die gefährlichen. Immer wieder rät man mir, die scharfen Kanten abzudecken oder die besonders unschönen Stücke ins Magazin zu stellen - man müsse sich doch nicht der anhaltenden Verletzungsgefahr oder dem scheußlichen Anblick aussetzen. Es seien schließlich Museumsstücke, vergangen, erledigt, nicht mehr in Gebrauch; sie dürften nicht mehr wehtun oder häßliche Anblicke bieten. Aber ich lehne das ab. Jeder Gegenstand in meinem Museum ist Teil meines Weges, und jeder darf und soll beim Betrachten genau das hervorrufen, wofür er einst stand. Denn das ist mein Leben.

Das Schöne an meinem Museum ist, daß es zu fast jedem Ausstellungsstück irgenwo, bei irgendeinem Menschen auf der Welt ein Gegenstück gibt. Das erst macht meine Sammlung so wertvoll. Manche dieser Gegenstücke sehen fast identisch aus wie meine, manche auch komplett anders. Vielleicht liegt es an der Perspektive, vielleicht an der Beleuchtung. Vielleicht aber auch an der Pflege.

Wie gesagt - meine Stücke pflege ich mit Hingabe, um sie im Originalzustand zu halten. Es gibt aber Menschen, die verändern ihre Sammlung im Nachhinein, zerstören einzelne Exponate, verstecken sie oder entstellen sie so sehr, daß sie häßlich werden und eine ganz andere Geschichte erzählen als das jeweilige Gegenstück in meinem Museum. Ein Beispiel:

Eine der schönsten Skulpturen, die ich besitze, zeigt ein tanzendes Paar, einander glücklich anlächelnd, lustige Gesichter schneidend und allerlei Unsinn machend. Es geht ihnen gut; sie verstehen sich, und ihr Tanz, obwohl feierlich und formvollendet, scheint einen ironischen, künstlerischen Abstand zum festlichen Rahmen zu wahren. Ein Meisterwerk von Liebe und Schönheit, Leichtigkeit und Freude. 

Das Gegenstück dazu, das bei einem anderen Menschen im Museum steht, sah urprünglich genau so aus. Aber die Kuratorin hat die Skulptur verändert und zu einer grotesken Farce entstellt. Den Kopf des tanzenden Mannes hat sie abgebrochen und durch ein dreckig grinsendes Wurstende ersetzt; seine Brust ist nun angeberisch geschwollen, und die liebevolle Geste, mit der er seinen Arm sanft und schützend um ihre Taille legte, ist zu einem brutalen, beherrschenden Klammergriff übersteigert. Das ehemals strahlende, fröhliche Gesicht der tanzenden Frau hat nun einen leidvollen Ausdruck; ihr Kopf ist von ihm abgewandt und scheint sehnsuchtsvoll in die Ferne zu blicken. Und die Kuratorin ist sehr stolz auf diese Veränderungen. "So paßt es viel besser", sagt sie, "denn diese Schönheit gab es nie." 

Ich habe das Bedürfnis, im Museum herumzulaufen und die vielen wundervolllen Gegenstände darin zu entstellen oder gar zu zerstören, nie verstanden. Mir sind sie dafür viel zu kostbar, auch wenn auf viele schöne Stücke manchmal aus derselben Quelle ein paar sehr häßliche oder gefährliche folgen. Aber so ist das eben mit dem Sammeln.

Übrigens: Von jedem Exponat in meinem Museum mache ich eine sorgfältige Kopie und hebe sie auf. Vielleicht möchte ja irgendwann irgendjemand von irgendeinem entstellten, zerstörten oder verlorenen Stück die Ursprungsversion wiederhaben. Denn wo das Schöne häßlich gemacht wird, bleibt am Ende nur Häßliches. Und das kann niemand wollen. Oder ertragen. 

Wenn also jemand die Schönheit wiederhaben will, dann werde ich sie in die Bläschenfolie wickeln und mit Freuden übergeben. Und immer, wenn man so ein Bläschen zerplatzen läßt, entströmt ihm nichts als der Duft von Liebe.

Samstag, 11. Februar 2017

Identität - viel zitiert, wenig gelebt

Die "Landshut", jene Lufthansa-Maschine also, die 1977 von palästinensischen Terroristen entführt und durch die GSG9 befreit wurde, droht in Südamerika verschrottet zu werden. Ein paar Politiker machen sich für einen Ankauf und den Erhalt des Wracks stark.

Ich befürworte das. Überall und immer wieder ist in diesen Tagen von Identität die Rede, kontextuell zumeist verbunden mit der Angst um ihren Verlust durch eine angebliche "Überfremdung". Aber Identität kann man nicht nur behaupten und einfordern. Man muß sie erst mal für sich selbst entwickeln und pflegen.

Die Bundesrepublik Deutschland, in der ich seit 1970 aufgewachsen bin, hat sich mit "Identität", zumal mit "nationaler", immer schwer getan. Zu drückend lastete die Geschichte der perversen Übersteigerung des Völkischen auf dem Land. Und so wurde der Staat vorzugsweise auf sein administratives Funktionieren und das Land auf eine politisch-geographische Einheit reduziert. Etwas Gutes oder Schönes damit zu verbinden, Errungenschaften, über die man sich freuen, ja die man vielleicht sogar mit einem gefühligen Pathos feiern könnte, oder gar Symbole für die gemeinsame freie und demokratische Gesellschaft zu etablieren, war irgendwie tabu, wenn nicht zugleich das allfällige Mindestmaß an Betroffenheit ob des Gewesenen damit verbunden war. Und so waren sogar die Feiertage stets düster und verschämt - der alte Tag der deutschen Einheit etwa oder der Volkstrauertag.

Seltsamerweise empfand man diesen Verzicht auf eine positive, integrative und affirmative Selbstdefinition als Fortschritt. Anders als etwa Amerikaner, Briten oder Franzosen hatte man ja aus der Geschichte gelernt und den patriotischen Gestus jener Länder nicht mehr nötig. Daß mit dieser Behauptung nicht nur eine Erklärungsnot übertüncht, sondern auch ein menschliches Grundbedürfnis ignoriert wurde, blieb außeracht.

Heute scheint es ein bißchen anders zu sein, aber eben nicht so viel wie man meinen möchte. Der Umgang mit nationalen Symbolen ist entspannter geworden, ja, und das Wort "deutsch" hat einen nicht mehr ganz so abwertenden Klang wie noch vor 30 Jahren. Aber auch dieses neue, sommermärchengetriebene Selbstverständnis strahlt kaum über die zweijährliche Fußballeuphorie hinaus in den Alltag hinein.

Und so entsteht ein Spannungsfeld zwischen dem natürlichen Bedürfnis nach Identität und der gelernt-verschämten Abwehr derselben. Tatsächlich hat bundesrepublikanische Identitätsbildung seit 1949 und sogar nach 1990 in so geringem Maße stattgefunden, daß es kaum Integrationspunkte gibt und fast niemand so recht weiß, was dieses Land eigentlich ausmacht.

Und genau hier könnten Symbole helfen, starke, geschichtsträchtige Träger einer demokratischen und modernen, einer "guten" Identität, die die Botschaft einer offenen, aber auch zur Selbstbehauptung fähigen Gesellschaft transportieren und greifbar machen. Die "Landshut" wäre ein solches Symbol. In der Geschichte um dieses Flugzeug hat sich ein demokratischer Rechtsstaat nicht erpressen lassen und beharrlich gegen seine terroristische Unterminierung zu wehren gewußt - gerade heute ein wichtiges Zeichen mit hoher integrativer Kraft.

Gewiß, das Ding kostet - Ankauf, Transport, Restaurierung... Und dann ergeben sich ethische Fragen wie: Kann man die Hinrichtungsstätte des tapferen Kapitäns zum Museum machen? All das wird man besprechen müssen. Aber: Wir können nicht ständig über Identität und die konstituierenden Werte dieser unserer Bundesrepublik Deutschland reden, dabei von Migranten die Integration in, ja sogar die Anpassung an unsere Gesellschaft fordern, wenn wir sie selbst nicht definieren können und vor jedem identitätsstiftenden Symbol unserer Demokratie panisch "Bloß kein deutsches Wir-Gefühl!" schreiend davonlaufen.

Deshalb bin ich für den Erhalt der "Landshut". Sie steht für ein wichtiges Stück Geschichte, für einen großen Reifesprung der jungen Bundesrepublik und für ein gutes, freies, offenes und wehrhaftes Deutschland.


Hier der Spiegel-Artikel zum Thema.

Montag, 6. Februar 2017

American Greatness

Amerika wieder groß zu machen, war das Motto und zugleich das zentrale Versprechen Donald Trumps im Präsidentschaftswahlkampf 2016, und sein Sieg ist wohl nicht zuletzt diesem einen Schlüsselwort zu verdanken: "great".

Das Bedürfnis nach Größe wurzelt tief in der menschlichen Natur: Ansehen, Besitz, Ego, Macht und Einfluß – alles muß groß sein. Und neuerdings wird auch die nationale Größe wieder populär: In ganz Europa sprießen chauvinistische Parteien aus dem politischen Bodensatz; der böse Zwerg im Kreml erträgt die Abstufung Russlands zur Regionalmacht nicht und führt sein Reich mit Krieg, Mord, Unterdrückung und Ausbeutung zu einer zweifelhaften Größe; das ewig beleidigte Komplexbündel am Bosporus will seine Türkei gar zur Weltmacht aufblasen, und für den Twitter-Süchtigen im Weißen Haus manifestiert sich der Weg zur Größe in einem rabaukenhaften "Amerika zuerst", ganz gleich, wem man dafür auf die Füße tritt, wen man unterbuttert und welche Begleitschäden man verursacht. Größe scheint wichtiger als Güte, Macht bedeutender als Menschlichkeit und Hegemonie erstrebenswerter als Hilfsbereitschaft.

Größe als Ergebnis der Vielfalt

Aber was bedeutet eigentlich Größe? Was genau macht die Größe eines Landes aus? Militärische Stärke, wirtschaftliche Kraft, politischer Einfluß – mit solchen Banalitäten wird der relativ diffuse Begriff der Größe gern gefüllt. Aber diesen Attributen fehlt die moralische Dimension; hier wird die schiere Masse zum Maßstab erhoben, während die Klasse unberücksichtigt bleibt.

Gerade im Falle der Vereinigten Staaten ist das bedauerlich. Denn Amerika ist bereits groß, schlicht und einfach, weil es den europäischen Traum von der Freiheit verwirklicht. Amerika – das ist die souveräne, kraftvolle Gewißheit, daß die Freiheit der Tyrannei überlegen ist, und daß Größe nur aus dem Reichtum der Vielfalt und aus der Freiheit, seine Chancen zu nutzen und seine Ideen einzubringen, erwächst. Dieses Amerika hat durch pure Unbeirrbarkeit die Konfrontation der Systeme im Kalten Krieg gewonnen; dieses Amerika hat über Jahrzehnte ein freies, friedliches Europa ermöglicht. Dieses Amerika hat Generationen europäischer Jugendlicher die Sehnsucht nach der Freiheit und den Soundtrack dazu geliefert. Dieses Amerika ist groß.

Über Jahrhunderte war Amerika für Auswanderer aus der Alten Welt ein verheißungsvolles Paradies, in dem alles auf Null gesetzt und ein vollständiger Neubeginn gewagt werden konnte, ganz ohne die Beschwernisse und Hinderungen des früheren Lebens, beseelt und angetrieben von diesem einen Versprechen: daß jeder das Recht und die Chance habe, sein Glück zu machen. Dieser fundamentale Respekt vor den Hoffnungen und Fähigkeiten jedes einzelnen Individuums ohne Ansehen seiner Herkunft, Muttersprache oder Religion macht den amerikanischen Traum, die wahre amerikanische Größe aus. Es ist diese eine Grundidee, diese bedingungslose Überzeugung, die die amerikanische Nation eint.

Bevor es nun wieder heißt: Ja, aber die Schwarzen... Natürlich sprechen wir hier über ein Ideal, dessen praktische Umsetzung erhebliche Mängel gezeigt hat und bis heute zeigt – Stichworte Indianer, Sklaverei, Rassismus usf. Worum es bei der amerikanischen Größe aber immer ging, war, daß es zumindest ein Ideal von Freiheit und Selbstverwirklichung gibt, einen axiomatischen Kollektivismus also, der nicht bezweifelt wird, und auf dessen Grundlage sich das Individuum nach Belieben entfalten darf und die Vielfalt gedeiht. Dem jüngst wiedererstarkenden völkischen Denken steht das diametral entgegen – denn bei diesem geht es genau umgekehrt darum, den vielfältigen Individualismus unter einem ideologischen Überbau, einem Dachkonstrukt sozusagen, zu vereinheitlichen und gegebenenfalls auszusondern, was nicht dazu paßt.

Größe in Zeiten der Kraftmeierei

Und nun kommt Trump. Und mit ihm ein Nationalismus, der in erster Linie weiß, laut und rücksichtslos ist. Mit ihm zieht die Überzeugung ins Weiße Haus, daß Vielfalt schlecht und Offenheit gefährlich sei. Was die amerikanische Größe essenziell ausmacht, schafft Trump sukzessive ab. Sein Nationalismus ist zutiefst unamerikanisch; sein Treiben das eines Staatsfeindes. Sein Argument ist die Sicherheit, der Schutz der eigenen Bevölkerung vor äußeren Gefahren. Was er (ebenso wie einige Alternativdenker hierzulande) dabei nicht begreifen will, ist, daß ein Mindestmaß an Unsicherheit zum Konzept der Freiheit gehört, ja daß die Möglichkeit des Mißbrauchs geradezu konstituierend für eine offene, eine große Gesellschaft ist. Denn der Glaube an die unbegrenzten Möglichkeiten jedes einzelnen Lebens wird durch einen haßerfüllten Terrorismus nicht substanziell gefährdet – dazu ist das amerikanische Paradigma, mit jeder Unsicherheit fertig zu werden, weil man einfach das bessere Konzept hat, viel zu stark. Wer aber die freie Entfaltung der Persönlichkeit, den Respekt vor der Vielfalt und die Minimierung staatlicher Eingriffe zugunsten einer flächendeckenden Überwachung und gruppenspezifischen Ausgrenzung einzutauschen bereit ist, hat seine Freiheit aufgegeben.

Größe als Hoffnung wider den Größenwahn

Und so verblaßt sie derzeit ein wenig, die amerikanische Größe, wird eingenebelt im Pulverdampf einer unkontrollierten Kanone, die nach Lust und Laune auf alles schießt, was ihrem Narzissmus zuwiderläuft. Nicht mal die amerikanische Architekturikone in der Pennsylvania Avenue 1600 ist Trump gut genug. Sein Amtssitz, so hört man, gefalle dem neuen Präsidenten nicht. Am liebsten wolle er im Trump Tower bleiben. Er mag es halt golden, protzig, schwer und penetrant. Das Weiße Haus hingegen in seiner klassischen, zeitlosen Richtigkeit besitzt eine ewig gültige Ästhetik, einen unumstößlich guten Geschmack und verkörpert damit Klasse, Beständigkeit und unaufdringlichen Stil. Klar, daß dergleichen jemandem mißfallen muß, der sich eben nicht auf dem Urgrund eines zeitlosen Ideals, dem festen Boden eines verehrungswürdigen Erbes bewegt, sondern ohne Respekt und Demut nur die Umgebung zu akzeptieren vermag, die er nach seinen Vorstellungen geschaffen hat. Trumps Größe ist nichts weiter als das entidealisierte Recht des Stärkeren und evoziert Grobheit, Egoismus und Kampf. Die weltpolitische Unsicherheit, die daraus erwächst, wurde oft genug beschrieben. Und so bleibt nur die Hoffnung, daß die wahre amerikanische Größe, der Glaube an die Freiheit und die Vielfalt, auch einen Präsidenten Donald Trump überstehen und überwinden wird.