Donnerstag, 4. Juni 2015

Unser Haus am Strand

Erinnerst Du Dich an unser Haus am Strand? An unseren kleinen weißen Schreibtisch mit Blick aufs Meer, an dem wir saßen und schrieben, von der Liebe, vom Leben, von uns...? Weißt Du noch, wie unsere Tochter im hellen Sand saß und unter ihrem Sonnenschirmchen spielte, während die Wellen saft rauschten und ein lauer Sommerwind die weißen Vorhänge unseres kleinen Hauses blähte? Du hattest die Verandatüren geöffnet, hattest sie weit aufgesperrt, so daß wir immerzu ein- und ausgehen konnten in unser Haus am Strand, frei wie Wind und Sonne. Ein paar Möwen standen schreiend in der Luft, und am Horizont folgte ein großes Schiff seinem Weg übers Meer. Du sahst mich an und sagtest: "Du bist das Buch, das ich immer schreiben wollte!" Und das Meer rauschte in meinen Ohren wie sanftes Glück.

Ich war neulich mal wieder dort. Du hattest mir eine Karte geschrieben, ob wir uns nicht wieder treffen wollen in unserem Haus am Strand. So schön sei es dort immer gewesen. Ich brauchte eine Weile, weil ich mich erst an den Weg erinnern mußte. Aber als ich ankam, war es verschlossen. Die Verandatür, in der einst der Sommerwind die weißen Vorhänge gebläht hatte, fest verrammelt mit schweren Läden, die hölzernen Stufen versandet. Hier und da blätterte die weiße Farbe von den Wänden. Ein bleigrauer Himmel, ein steifer Wind, und Wellen, die ärgerlich auf den Strand einschlugen... Von Dir keine Spur. Nur ein Zettel an der Tür. "Es ist nun anders."

Ich drehte mich um und ging, traurig lächelnd. Es führt kein Weg zurück zu unserem Haus am Strand.

Dienstag, 2. Juni 2015

Mein Freund E.

Mein Freund E. ist eigentlich gar nicht mein Freund. Tatsächlich sind wir uns noch nie begegnet. Gerade einmal über Facebook sind wir verbunden und tauschen hier und da Kommentare, seltener noch private Nachrichten aus. Wir wissen nicht mal, wie wir uns im Falle einer Begegnung ansprechen würden; irgendwie changiert unsere Anrede bei den wenigen Gelegenheiten unseres Austauschs unbeholfen zwischen Du und Sie, zwischen Vor- und Vollname, zwischen ja klar und wieso. Meinen Freund E. einen Freund zu nennen, geht also entschieden zu weit. Es ist nachgerade anmaßend, ganz besonders deshalb, weil mein Freund E. einen klangvollen Namen trägt und gewiß sehr viele Menschen ihn gern als ihren Freund bezeichnen würden, einfach nur, weil sie glauben, dieser klangvolle Name werte sie irgendwie auf. Solche Menschen gibt es ja.

Mir ist der Name meines Freundes E. egal. Namen, Titel – Himmel, was sagen die schon? Es gibt so viele Graf Vollidiot und Prof. Dr. Schweinehund da draußen, daß ich mir andere Kriterien für meine Freundeswahl gesucht habe. Hauptsächlich, ob jemand einfach ein guter Mensch ist. Von meinem Freund E. glaube ich das. Alles an ihm wirkt gutherzig, fast ein bißchen naiv, man möchte sagen: zu gut für und eben darum nicht ganz und gar von dieser Welt.

Denn mein Freund E. hat sich etwas bewahrt, das manchem wohl lebensfern, mir indes durchaus vertraut und liebenswert erscheint: Kindlichkeit. Jene gutherzige, naive Kindlichkeit, die sich zu begeistern vermag, die die Phantasie schweifen und ihren bunten Staub auf den grauen Alltag niedertaumeln läßt, und die sich nicht geniert zu leuchten, zu fiebern und zu spielen. Mein Freund E. überfliegt einen Artikel zum Einsatz von Flugzeugträgern und liest versehentlich "Flugsaurier", was ihn für einen zauberhaften Moment wohlig verzückt. Er wird in ein Ritterkostüm gesteckt, ein echtes, mit schwerem Kettenhemd, Wappenrock, Topfhelm und langem Schwert, und möchte es gar nicht mehr ausziehen, so sehr durchprickelt ihn der Spieltrieb. Und wenn ein Star Wars Film angekündigt wird, postet er die Vorschau und bebt dabei vor Vergnügen.

Das alles soll nicht andeuten, mein Freund E. habe nur kindliche Flausen im Kopf. Keineswegs! Die ernsten Themen sind ihm sehr wichtig, und so beschäftigt er sich immer wieder mit dem Krieg, dem Hunger und der Politik, mit allem, was diese Welt, für die er zu gutherzig ist, an Elend hervorbringt, vor allem aber mit dem Glauben, der bei ihm rein und stark ist. Alles Böse bedrückt ihn, und wenn in der Kommentarspalte seiner Postings darüber diskutiert wird, äußert er sich selten, sondern läßt die Vielfalt der geäußerten Meinungen auf sich wirken, dankbar und neugierig.

Meinen Freund E. nenne ich gegen alle Wirklichkeit einen Freund, einfach aus Verbundenheit. Sein Bewahren, Pflegen und Ausleben des ewigen inneren Kindes weckt bei mir das Gefühl einer wortlosen Seelenverwandtschaft. Was ich an mir selbst oft als weltfern, als lebensfremd und nicht vereinbar mit den Anforderungen des rauhen Alltags empfinde, scheint bei ihm leicht und geschmeidig zu funktionieren. Wo man über mich tadelnd den Kopf schüttelt, lächelt man ihm ermutigend zu. Eine wehmütige Sehnsucht nach dieser Leichtigkeit kommt bei mir auf, wenn ich das so sehe. Vielleicht hilft ihm hierbei dann doch sein klangvoller Name, der ihn über den Horizont dessen, was man üblicherweise an biederem Lebensernst erwartet, erhebt, weil man an Seinesgleichen den Maßstab gewöhnlicher Daseinsführung erst gar nicht anlegt - so bin ich versucht, mir einzureden, denn damit hätte ich eine Entschuldigung dafür, mich so schwer zu tun. Vielleicht aber ist er auch einfach viel selbstverständlicher und bedenkenloser als ich, wie er eben ist. Gutherzig, neugierig und begeistert.

Ich kann viel lernen von meinem Freund E. Und möchte es auch. Eines Tages, wenn er vielleicht ist, was ich ihn nenne.

Mein Freund E.