Montag, 16. November 2015

Distanziert Euch!

Viele Muslime distanzieren sich nach den Anschlägen von Paris – wie schon bei vielen früheren islamistischen Terrorakten – ausdrücklich von den Attentätern und verurteilen scharf deren Ziele und Motive. Die meisten haben von sich aus das Bedürfnis, ihr Mitgefühl und ihr Entsetzen auszudrücken; einige fühlen sich ihrer Glaubenszugehörigkeit wegen zu einer Positionierung verpflichtet. Gerade diese angebliche Verpflichtung aber wird derzeit heiß diskutiert.

So wird etwa eingewendet, die Forderung nach einer solchen Distanzierung stelle eine gesamte Religionsgemeinschaft unter Generalverdacht. „Distanzierung“ setze schließlich schon dem Begriff nach Nähe voraus, womit unterstellt werde, daß jeder Moslem den Ideen und Handlungen terroristischer Mörder grundsätzlich nahestehe.

Mir scheint das nicht ganz zu Ende gedacht. Mal abgesehen davon, daß eine solche Verurteilung des Mordens für jeden anständigen Menschen gleich welchen Glaubens selbstverständlich sein sollte, ist sie für die friedliebenden Muslime ein wichtiges Zeichen. Denn jene Nähe zum islamistischen Terror, deren Unterstellung sofort für empörte Aufschreie sorgt, besteht ja nun einmal tatsächlich – natürlich nicht in Form von Sympathie, Billigung oder gar Beihilfe! Aber durch die Zugehörigkeit zu einem Glauben, der von den Attentätern eben als Grundlage und Antrieb ihres Handelns angeführt und mißbraucht wird.

Das macht natürlich nicht alle Angehörigen dieses Glaubens zu Mittätern. Aber wo ein identitätsstiftendes Merkmal einer Gruppe von Menschen 1) von barbarischen Terroristen zur Legitimation schrecklichster Untaten herangezogen und obendrein 2) von rechten Dumpfbacken zur Beschreibung eines pauschalen Feindbildes verwendet wird, tut Abgrenzung Not! Wer etwas, das zu meinem Selbstverständnis gehört, zur Grundlage unsäglicher Ideen und Aktionen macht, den lasse ich sicher nicht widerspruchslos gewähren. Das gilt für all die Muslime, die ein friedliches, soziales Leben inmitten unserer offenen Gesellschaft führen, und ja, es gilt ganz genau so für mich als Deutschen, dessen zur Distanzierung verpflichtende Nähe zu AfD und Pegida sich nun einmal aus der gemeinsamen (und von jenen schäbig für Menschenhass und Gewalt mißbrauchten) Nationalität ergibt.

Im Grunde ist es doch selbsterklärend: Menschen sollten sich immer von der Unmenschlichkeit distanzieren. Nicht, weil sie dadurch beweisen müssen, menschlich zu sein. Nein, sondern weil sie sich nicht schweigend von der Unmenschlichkeit vereinnahmen lassen dürfen. Darum setzt Zeichen.

Distanziert Euch!


Dienstag, 20. Oktober 2015

Ein Bekenntnis

Ich gebe es zu: Der Auftritt dieses Thüringer AfD-Männchens bei Jauch hat mich inspiriert. Denn als es die deutschen Farben aus der Jacke zog wie ein altes Taschentuch, regte sich in mir der Drang, nun ebenfalls ein Bekenntnis abzugeben: zu eben diesen, zu meinen Farben.

Denn es sind nicht die euren, nicht die der AfD-Wähler, der Pegida-Marschierer, der "besorgten Bürger". Nichts von dem, was ihr für Deutschland wollt, ist vereinbar mit den Werten, für die diese Farben 1832 auf das Hambacher Schloß und 1848 auf die Barrikaden getragen wurden. Die Rede von Philipp Jakob Siebenpfeiffer auf dem Hambacher Fest sei euch und jedem, der diese Farben schwenken will, warm empfohlen. Lest nach und erkennt - keine eurer Parolen spiegelt die Werte, für die Schwarz-Rot-Gold steht: Freiheit, Gleichheit, Völkerverständigung und sogar europäische Einigung.

Schwarz, Rot und Gold sind nicht eure Farben, und Deutschland ist ganz offenbar nicht euer Land. Denn dieses Land ist anders und will auch anders sein als ihr es euch wünscht. Nicht für Deutschland grölt ihr eure hasserfüllten, bitteren Parolen, sondern für den dumpfen Schmerz eurer eigenen leeren, kaputten Seelen. Wer dieses Land schwarzweiß machen und am liebsten rotes Blut all derer vergießen will, die er für schuldig hält an der eigenen Misere, hat das moralische Recht, Schwarz-Rot-Gold zu tragen, verwirkt.

Donnerstag, 3. September 2015

Aylan

Schlaf, mein Engel, süß und frei.
Alle Schmerzen sind vorbei.
Wie Du warst geliebt auf Erden,
wirst Du's nun im Himmel werden.

Samstag, 29. August 2015

Aufruf

An all die Bitteren und Bösen, die Besorgten und Ängstlichen, die Verlorenen und Ungeliebten, die Kalten und Harten da draußen:

Liebe fühlt sich so viel schöner an
als Haß.
Hilfe ist so viel befriedigender 
als Macht.
Mitgefühl wirkt so viel erhebender
als Härte.
Güte macht so viel glücklicher
als Mißgunst.
Menschlichkeit steht uns so viel besser
als Unmenschlichkeit.

Versucht's mal!

Donnerstag, 4. Juni 2015

Unser Haus am Strand

Erinnerst Du Dich an unser Haus am Strand? An unseren kleinen weißen Schreibtisch mit Blick aufs Meer, an dem wir saßen und schrieben, von der Liebe, vom Leben, von uns...? Weißt Du noch, wie unsere Tochter im hellen Sand saß und unter ihrem Sonnenschirmchen spielte, während die Wellen saft rauschten und ein lauer Sommerwind die weißen Vorhänge unseres kleinen Hauses blähte? Du hattest die Verandatüren geöffnet, hattest sie weit aufgesperrt, so daß wir immerzu ein- und ausgehen konnten in unser Haus am Strand, frei wie Wind und Sonne. Ein paar Möwen standen schreiend in der Luft, und am Horizont folgte ein großes Schiff seinem Weg übers Meer. Du sahst mich an und sagtest: "Du bist das Buch, das ich immer schreiben wollte!" Und das Meer rauschte in meinen Ohren wie sanftes Glück.

Ich war neulich mal wieder dort. Du hattest mir eine Karte geschrieben, ob wir uns nicht wieder treffen wollen in unserem Haus am Strand. So schön sei es dort immer gewesen. Ich brauchte eine Weile, weil ich mich erst an den Weg erinnern mußte. Aber als ich ankam, war es verschlossen. Die Verandatür, in der einst der Sommerwind die weißen Vorhänge gebläht hatte, fest verrammelt mit schweren Läden, die hölzernen Stufen versandet. Hier und da blätterte die weiße Farbe von den Wänden. Ein bleigrauer Himmel, ein steifer Wind, und Wellen, die ärgerlich auf den Strand einschlugen... Von Dir keine Spur. Nur ein Zettel an der Tür. "Es ist nun anders."

Ich drehte mich um und ging, traurig lächelnd. Es führt kein Weg zurück zu unserem Haus am Strand.

Dienstag, 2. Juni 2015

Mein Freund E.

Mein Freund E. ist eigentlich gar nicht mein Freund. Tatsächlich sind wir uns noch nie begegnet. Gerade einmal über Facebook sind wir verbunden und tauschen hier und da Kommentare, seltener noch private Nachrichten aus. Wir wissen nicht mal, wie wir uns im Falle einer Begegnung ansprechen würden; irgendwie changiert unsere Anrede bei den wenigen Gelegenheiten unseres Austauschs unbeholfen zwischen Du und Sie, zwischen Vor- und Vollname, zwischen ja klar und wieso. Meinen Freund E. einen Freund zu nennen, geht also entschieden zu weit. Es ist nachgerade anmaßend, ganz besonders deshalb, weil mein Freund E. einen klangvollen Namen trägt und gewiß sehr viele Menschen ihn gern als ihren Freund bezeichnen würden, einfach nur, weil sie glauben, dieser klangvolle Name werte sie irgendwie auf. Solche Menschen gibt es ja.

Mir ist der Name meines Freundes E. egal. Namen, Titel – Himmel, was sagen die schon? Es gibt so viele Graf Vollidiot und Prof. Dr. Schweinehund da draußen, daß ich mir andere Kriterien für meine Freundeswahl gesucht habe. Hauptsächlich, ob jemand einfach ein guter Mensch ist. Von meinem Freund E. glaube ich das. Alles an ihm wirkt gutherzig, fast ein bißchen naiv, man möchte sagen: zu gut für und eben darum nicht ganz und gar von dieser Welt.

Denn mein Freund E. hat sich etwas bewahrt, das manchem wohl lebensfern, mir indes durchaus vertraut und liebenswert erscheint: Kindlichkeit. Jene gutherzige, naive Kindlichkeit, die sich zu begeistern vermag, die die Phantasie schweifen und ihren bunten Staub auf den grauen Alltag niedertaumeln läßt, und die sich nicht geniert zu leuchten, zu fiebern und zu spielen. Mein Freund E. überfliegt einen Artikel zum Einsatz von Flugzeugträgern und liest versehentlich "Flugsaurier", was ihn für einen zauberhaften Moment wohlig verzückt. Er wird in ein Ritterkostüm gesteckt, ein echtes, mit schwerem Kettenhemd, Wappenrock, Topfhelm und langem Schwert, und möchte es gar nicht mehr ausziehen, so sehr durchprickelt ihn der Spieltrieb. Und wenn ein Star Wars Film angekündigt wird, postet er die Vorschau und bebt dabei vor Vergnügen.

Das alles soll nicht andeuten, mein Freund E. habe nur kindliche Flausen im Kopf. Keineswegs! Die ernsten Themen sind ihm sehr wichtig, und so beschäftigt er sich immer wieder mit dem Krieg, dem Hunger und der Politik, mit allem, was diese Welt, für die er zu gutherzig ist, an Elend hervorbringt, vor allem aber mit dem Glauben, der bei ihm rein und stark ist. Alles Böse bedrückt ihn, und wenn in der Kommentarspalte seiner Postings darüber diskutiert wird, äußert er sich selten, sondern läßt die Vielfalt der geäußerten Meinungen auf sich wirken, dankbar und neugierig.

Meinen Freund E. nenne ich gegen alle Wirklichkeit einen Freund, einfach aus Verbundenheit. Sein Bewahren, Pflegen und Ausleben des ewigen inneren Kindes weckt bei mir das Gefühl einer wortlosen Seelenverwandtschaft. Was ich an mir selbst oft als weltfern, als lebensfremd und nicht vereinbar mit den Anforderungen des rauhen Alltags empfinde, scheint bei ihm leicht und geschmeidig zu funktionieren. Wo man über mich tadelnd den Kopf schüttelt, lächelt man ihm ermutigend zu. Eine wehmütige Sehnsucht nach dieser Leichtigkeit kommt bei mir auf, wenn ich das so sehe. Vielleicht hilft ihm hierbei dann doch sein klangvoller Name, der ihn über den Horizont dessen, was man üblicherweise an biederem Lebensernst erwartet, erhebt, weil man an Seinesgleichen den Maßstab gewöhnlicher Daseinsführung erst gar nicht anlegt - so bin ich versucht, mir einzureden, denn damit hätte ich eine Entschuldigung dafür, mich so schwer zu tun. Vielleicht aber ist er auch einfach viel selbstverständlicher und bedenkenloser als ich, wie er eben ist. Gutherzig, neugierig und begeistert.

Ich kann viel lernen von meinem Freund E. Und möchte es auch. Eines Tages, wenn er vielleicht ist, was ich ihn nenne.

Mein Freund E.

Mittwoch, 20. Mai 2015

Ausgerechnet Ampeln

Sie geistern durch unseren Alltag wie unerlöste Seelen, spuken in Parlamentsdebatten und Pressemeldungen herum, rasseln in Gleichstellungsausschüssen und Forschungsgruppen dringlich mit ihren ach so schweren Ketten und heulen sphärisch über Stammtischen und Vorträgen - die sogenannten Gender-Themen. Eine soziokulturelle Theorie mit politischem Impetus, die seit ihrer Erfindung weder Tatsachen noch Forschungsergebnisse bestätigen können, schickt sich an, zum ewig wiedergängigen Gespenst im täglichen Reigen unserer Gespräche, Meinungen und Probleme zu werden.

Bislang mochte man diesem Unfug mit Gelassenheit begegnen - er gehört zur Freiheit, und über die geht nichts, auch wenn's ein paar Steuergelder kostet. Zumindest spielte er sich irgendwo ab, wo man in aller Regel nicht allzu sehr damit behelligt wurde. Nun aber schwingt er sich zur Allgegenwart auf, zur ubiquitären Unausweichlichkeit, aufdringlich, belehrend, erzwingend, und damit einen Reflex bei mir auslösend, der mein durch und durch liberales Wesen seine eigene Freiheit behaupten läßt - die Freiheit nämlich, ganz viel von dem, was Menschen so tun, nicht wahrzunehmen. Macht, was ihr wollt, aber haltet mich raus, möchte ich sagen. Der übergewichtige Landtagsabgeordnete mag sich am Wochenende gern in Lederriemen einschnüren und ausschimpfen lassen, und dem Steuerberater mag es gefallen, in Windeln auf dem Boden herumzukrabbeln. Aber: Ich! Will! Es! Nicht! Wissen!! Nicht aus moralischen Gründen, sondern aus ästhetischen.

Denn ich kenne keine sexuelle Moral außer der, daß alle Beteiligten einverstanden sein und Freude an dem haben sollten, was geschieht, und daß niemandem Leid zugefügt werden darf, der darüber nicht selbst entscheiden kann. Alles andere interessiert mich einfach nicht! Viel mehr als das, was in die relativ konventionellen Grenzen meines eigenen sexuellen Lebensentwurfs gehört, muß ich nicht sehen. Gewiß, das schwule Pärchen auf der Kärntnerstraße macht mich lächeln, weil ich mich immer über glückliche Liebe freue, und darüber, daß sie nun endlich ganz selbstverständlich Hand in Hand herumspazieren können, und auch aus dem Café Prückel wäre ich sicher nicht empört hinausgerannt, nur weil dort zwei Mädchen knutschten. Ich war auch schon auf dem Life Ball und fand es klasse. Kurz: Ich mag die freie, offene Gesellschaft. Aber ich muß sie mir nicht immerzu in allen Facetten bewußt machen.

Und nun kommen die Ampelmännchen, -weibchen, -pärchen. Denn der Gesellschaft, also uns, muß Toleranz beigebracht werden - Verzeihung, nicht Toleranz, denn die ist ja neuerdings böse, weil sie nur "Duldung" bedeutet! Toleranz ist das neue Nazi. Akzeptanz sollen wir lernen! Annahme! Und zwar durch Dauerbedröhnung, so als ob immerzu jemand neben mir steht, der mir pausenlos den Ellenbogen in die Rippen stößt und sagt: Kuck ma, zwei Männer! Schau da, zwei Frauen! Und dort - Transen! Findste gut, ne? Ist doch echt O.K., oder? Du akzeptierst das doch, gell? Und weil Ampelmenschlein nun mal so ziemlich jeden erreichen, halten sich nun bald an jeder Kreuzung wahlweise zwei Weibchen, zwei Männchen, ein Männchen und ein Weibchen und überhaupt alles, was sich in Liebe berufen fühlt, lehrreich an der Hand.

Ist doch niedlich, mag man sagen. Ja. Aber nein. Denn eine solche Maßnahme macht die sexuelle Orientierung zum permanenten Thema, zum unvermeidbaren, schrillen Geplärr, dem man sich nicht mehr entziehen kann, auch wenn es einen noch so wenig kratzt. Es haut einem das gefälligst zu Tolerierende, Verzeihung, das zu Akzeptierende in nimmermüder Dauerschleife und sprichwörtlich an jeder Ecke um die Ohren, und wer's nicht super findet, ist der Böse, als sei liberale Gleichgültigkeit bereits eine homophobe Kampfansage und als bestimme allein dieses Detail unseres Lebens über Frieden, Freiheit, Menschlichkeit und Gleichberechtigung. Tut es aber nicht. An der Vermutung, die Welt werde ganz prima, wenn nur endlich alle mit allen ficken, sind bereits die Hippies gescheitert.

Und deshalb nerven mich die Ampeldinger. Sie sind (Wortspielalarm!) Verkehrzeichen - ja. Aber für den STRASSENverkehr. Sie sollen ein Regelwerk abbilden und die Unfallgefahr minimieren. Dafür sollten sie neutral und von jedem weiteren Aussagegehalt frei gehalten werden. Nun aber werden sie zur moralischen Werbefläche und zwingen mich zur ständigen Wahrnehmung eines Themas, das für mich mit Intimität, mit Privatsphäre und Persönlichkeitsrecht zu tun hat, mit dem süßen Geheimnis von Lust und Liebe, das den Rest der Welt ausschließt. Die klotzige Omnipräsenz, die man dieser wunderbaren, zarten Sache nun gibt, entwürdigt sie, bedrängt mich ästhetisch und ist in ihrer pädagogischen Reduktion des Menschen auf seine intimen Vorlieben sehr viel sexistischer als meine Freiheit, Dinge nicht wahrzunehmen und jedem Tierchen einfach sein Pläsierchen zu lassen.

Montag, 18. Mai 2015

Liebesebbe, Liebesflut

Du liebst, sagst Du. Immer noch. So gültig wie damals. Sagst Du.

Damals liebtest Du, das weiß ich. Wie eine Flut umgab uns diese Liebe, kraftvoll, tief, dunkel, lebenspendend, und wir zappelten darin wie zwei glückliche Fischlein. Sie riß uns empor, diese Liebesflut, drückte uns nieder, trieb uns auseinander und zwang uns wieder zusammen. Sie bewegte uns, und wir ließen uns treiben, schwammen miteinander und jauchzten bei jeder mächtigen Welle, die uns fortriß, so stumm, so innig wie nur glückliche Fischlein jauchzen können. Mich ließ sie taumeln in einem Meer von Glück, diese Liebesflut. Ich hatte keine Kraft dagegenzusetzen, keine Macht, sie aufzuhalten oder zu bewegen in eine mir genehme Richtung. Sie war einfach da, die Flut, und ich darin. Mit Dir. Du jedoch beherrschtest sie. Du konntest sie lenken, anschwellen lassen und zurückziehen. Aber das wußte ich damals nicht. Damals, als wir glücklich jauchzend darin taumelten.

Dann straftest Du mich; wofür, weiß ich nicht. Du zogst die Flut unserer Liebe ab vom heimeligen Grund unseres Meeres, saugtest sie weg von mir mit jener Macht, von der ich nichts gewußt hatte, nahmst sie mit zu unerreichbaren Horizonten und schwammst davon. Du ließt mich in der Ebbe zappeln – nicht mal auf dem Trockenen! Da wäre ich wenigstens alsbald gestorben. Sondern auf nassem, kalten Schlick, der immer noch durchtränkt war von dem, was wir hatten, mich immer noch schnappen ließ nach der Liebesflut, die ihn einst bespülte... und doch zum Jauchzen, zum Atmen, zum Leben nichts mehr hergab.

Ich sterbe nicht und lebe nicht. Immer, wenn die Liebesebbe mich auszutrocknen drohte, sandtest Du eine Welle, eine Springflut, die mich kurz durchatmen, schwimmen, hoffen ließ... und tausendfach glitzerte das Licht auf ihren Wogen, so wie ich es kannte mit Dir. Doch kaum, daß ich eine Richtung darin zu suchen begann, zu Dir, zu uns, zu jenen Horizonten, zu denen Du allein aufgebrochen warst, damals, als Du die Flut mit Dir nahmst... zogst Du sie wieder ab. Schicktest wieder Liebesebbe und ließt mich neuerlich trocknen, zappeln, sterben. So machst Du es bis heute, und ich weiß nicht, warum.

Du liebst, sagst Du. Immer noch. So gültig wie damals. Sagst Du.

Mag sein, daß Dich die Flut umspült wie damals. Dich emporreißt und niederdrückt, hier hin und dahin treibt. Denn Du hast sie ja mitgenommen, die Liebesflut, die Du beherrschst mit jener Macht, von der ich nichts wußte. Und mich daraus verbannt. In die Ebbe.

Da liege ich nun und schnappe.

Mittwoch, 4. Februar 2015

Von Wahrheiten und Mythen

Rezension des von Liane Bednarz und Christoph Giesa verfassten Buches „Deutschland dreht durch – Die Wahrheit über die AfD“ 

Überall, wo der Anspruch auf „Wahrheit“ erhoben wird, ist Skepsis geboten – nicht nur, weil damit eine Objektivität behauptet wird, die zumeist schon durch die persönlichen Überzeugungen, Interessen und Ziele der Beteiligten Lügen gestraft wird, sondern auch, weil die bloße Vermutung, es gebe eine einzige gültige Wahrheit eine Simplifizierung beinhaltet, die die Welt in schwarz und weiß, gut und schlecht, richtig und falsch aufteilt und damit notwendigerweise unversöhnliche Positionen schafft, über deren Berechtigung nicht mehr der demokratische Diskurs, sondern allenfalls die Lautstärke ihrer Vertreter entscheidet. So können denn also politische Meinungen ihrer Natur nach nicht objektiv sein, und selbst sogenannte Fakten, die man ja allzu rasch als objektiv wahrzunehmen geneigt ist, wirken oft im Zusammenhang mit höchst subjektiven Implikationen, können also durch ihren Kontext oder andere Fakten relativiert werden und verlieren damit ihre ohnedies nur scheinbare Alleingültigkeit. Eine politische Partei, die in einem so hochkomplexen System wie unserer Gesellschaft mit der Behauptung auftritt, sie allein habe den „Mut zur Wahrheit“ – und damit natürlich auch die einzig richtige Kenntnis derselben – muss sich gefallen lassen, dass zumindest die als Fakten dargestellten Postulate ihrer „Wahrheit“ einer kritischen Überprüfung unterzogen werden. 

Eben dies haben Liane Bednarz und Christoph Giesa in ihrem neuen Buch „Deutschland dreht durch – Die Wahrheit über die AfD“ getan. Fünf in der Selbstdarstellung der „Alternative für Deutschland“ verankerte Behauptungen werden anhand von Zitaten, Verhaltensweisen und Verbindungen zahlreicher Parteimitglieder widerlegt und als Mythen enttarnt. Die Autoren haben hierfür eine umfangreiche Recherche betrieben und ein vielfältiges Potpourri an Belegen dafür gesammelt,dass die „AfD“ in kaum einer Hinsicht dem Bild entspricht, welches sie in der Öffentlichkeit zu erzeugen bemüht ist, und sich stattdessen als eine ordinäre rechtsradikale Partei allzu bekannten Strickmusters erweist.

Das Buch ist klar strukturiert und liest sich leicht und angenehm, nicht zuletzt der Sprache wegen, die den nüchternen (und oft genug ernüchternden) Inhalt in einem flotten, fast plaudernden Ton vermittelt und hier und da sogar etwas salopp wirkt. Die solide Recherche und die wasserdichten Quellenangaben und Belege jedoch rechtfertigen die eine oder andere polemische Spitze, zumal ja die Autoren schon im Vorwort des Buches keinen Hehl aus ihrer sehr kritischen und damit durchaus parteiischen Haltung gegenüber der „AfD“ machen, und so ist der unterhaltende Tonfall dieser journalistisch sauberen Arbeit eher ein Vorteil für den Leser.

Bednarz und Giesa widmen sich zunächst der Selbstbezeichnung der „AfD“ als „Partei neuen Typs“ – eine Darstellung, die sowohl an der gebetsmühlenartigen Verwendung altbekannten Vokabulars der rechten Szene als auch an den nicht eben originellen Themen (wie etwa Ausländer, Homosexuelle und nationale Identität) der Partei scheitert. So bleibt die „AfD“ allen Versuchen des Parteivorsitzenden Lucke, die Nähe der „AfD“ zu Rechtsradikalen zu bestreiten, zum Trotze eben doch eine kaum mehr getarnte Neuauflage alten Ungeistes.

Desweiteren wird die Behauptung untersucht, bei den rechtsradikalen Entgleisungen von Parteimitgliedern und Sympathisanten handele es sich um „Einzelfälle“. Auch hier decken Bednarz und Giesa anhand zahlreicher Beispiele – vom fahnenschwenkenden Viktor Kasper bis zum antisemitische Karikaturen postenden Jan-Ulrich Weiß – ein Grundmuster auf, das sich zu breit, zu häufig, zu allgemein zeigt, um nicht als repräsentativ für die Denkungsart des Parteivolks angesehen zu werden.

Der dritte Mythos, den die Autoren entkräften, ist der von der „Bürgerlichkeit“ der Partei. Von den euphorischen Sympathiebekundungen Hans-Olaf Henkels für Sarrazins Elaborat „Deutschland schafft sich ab“ über zahlreiche höchst unbürgerliche, weil radikale Äußerungen aus Parteikreisen bis hin zu nachgewiesenen Berührungspunkten der „AfD“ mit linken und rechten Ideologien wird das Bild der bürgerlichen Partei Stück für Stück demontiert.

Das Gleiche gilt für die von Bernd Lucke gern wiederholte Behauptung, man sei eine (wenn auch kleine) „Volkspartei“. Ganz abgesehen davon, dass die Partei schon ihren beschränkten Wahlergebnissen nach keine Volkspartei sein kann, wird die Nähe zum Volk auch durch die abgehobenen Äußerungen vieler Parteimitglieder in Frage gestellt – vom Naserümpfen des Multimillionärs Henkel bis zur adelsdünkelhaften Umnachtung des „Germanenpriesters“ Geza von Nemanyi.

Schließlich räumen Giesa und Bednarz noch mit dem Bild von der „Professorenpartei“ auf, als die die „AfD“ gern gesehen werden will. Sorgfältig wird nachgewiesen, dass in der Partei und ihrem Vorstand weder eine überdurchschnittliche Zahl von tatsächlichen Lehrstuhlinhabern fungiert, noch signifikante Fachkenntnis zu Wirtschafts- und Währungsfragen vorhanden ist, noch herausragende wissenschaftliche Meriten für die akademische Kompetenz der Parteigranden Zeugnis ablegen. 

Kritisch darf angemerkt werden, dass die gelegentliche Selbstzitation der Autoren ein wenig eitel wirkt. Die nur um einer Pointe willen erwähnte Maßeinheit „ein Luck“ etwa, die Giesa in seiner Kolumne im „European“ erfunden hat, ist zu wenig etabliert, um einen Wiedererkennungseffekt zu bewirken, und trägt zur Information des Lesers nicht wesentlich bei. Auch scheint der Titel nicht vollends glücklich gewählt – so sehr man natürlich die Spitze gegen Sarrazin versteht, so wenig möchte man den paar offensichtlich durchdrehenden „AfD“-Wählern oder der Handvoll Pegida-Spazierer die allgemeine Bezeichnung „Deutschland“ überlassen. „Deutschland“ zeigt vielmehr in eindrucksvollen Gegendemonstrationen, dass es in seiner überwältigenden Mehrheit durchaus noch bei Sinnen ist.

Es ist indes das große Verdienst des Buches von Liane Bednarz und Christoph Giesa, in einer ebenso kompakten wie umfassenden Zusammenstellung gut belegter Zitate, Vorkommnisse und Verknüpfungen alle Mythen, in die sich die „Alternative für Deutschland“ gern hüllt, zu enttarnen und damit eine Wahrheit zu schaffen, die der von der Partei so „mutig“ verbreiteten unausweichliche Argumente entgegenhält. Wer bislang auf die Selbstdarstellung der „AfD“ hereingefallen ist, hat bei den täglichen Nachrichten wohl einfach nicht richtig aufgepasst. Wer ihr nach Erscheinen des Buches von Bednarz und Giesa immer noch glaubt, kann zumindest nicht mehr auf die allzu beliebte Ausrede zurückgreifen, er habe das alles ja nicht gewusst.

Das Buch „Deutschland dreht durch. Die Wahrheit über die AfD“ ist bei Hanser Literaturverlage als eBook erschienen.

Sonntag, 4. Januar 2015

Genie bei der Arbeit

Ein literarisches Perpetuum Mobile

Der Literat betritt das Kaffeehaus. An der Schlange brav wartender Touristen vorbeidrängend hat er sich mit ausladender Geste Einlaß verschafft und meint nun, ein Raunen durch die Säulenhalle gehen zu hören, aber das füllt wohl eher das Gewölbe seines Schädels als den tatsächlichen Raum. Vollends durchdrungen vom Gefühl der Wichtigkeit wird er, als der Oberkellner eilfertig auf ihn zukommt, ihn namentlich begrüßt (schließlich ist der Literat seit acht Jahren Stammgast des altehrwürdigen Hauses, da wird man auch ohne nennenswertes Oevre erkannt) und ihm unter allerhand Artigkeiten ein Plätzchen im überfüllten Saale zuweist.

Der Literat läßt sich nieder, nein, er läßt sich herab auf das Niveau der rotgemusterten Sitzbank, an die er den runden Tisch heranzieht mit einem Blick in die Umgebung, der sagen soll: "Ihr wißt schon, was jetzt geschieht. Es waltet der Genius!" Aber niemand schaut. Dann zieht er sein Notizbuch aus der Tasche und sein Schreibgerät - ein sehr teures Schreibgerät. Denn der Literat lebt ja vom Schreiben, und da hält man, bitteschön, auf sein Gerät. Er öffnet sein leinenbezogenes Notizbuch, räuspert sich. Aber nichts kommt. Kein treffendes Wort durchzuckt seinen Geist, keine große Idee entlädt sich aufs jungfräuliche Papier. Recht schlaff und untätig liegt das teure Schreibgerät in seiner Hand. 

Und also, damit seine augenblickliche Schwäche (eine kleine Verstimmung schlimmstenfalls; er hat nicht recht wohl geruht die Nacht, und auch der Kaffe am Morgen hatte es an der wünschenswerten Qualität fehlen lassen) nicht jedem bemerklich werde, beschließt er, eben jene Situation in Worte zu fassen, in der er sich gerade befindet. Und er schreibt den ersten Satz:

Der Literat betritt das Kaffeehaus. (usw.)