Mittwoch, 18. Dezember 2013

Kalter Kaffee

Kalter Kaffee! Es liegt immer ein wenig Empörung darin, wenn jemand diese Worte sagt. Spott, Verachtung. Ein süffisantes Mitleid vielleicht. Kalter Kaffee. Das ist gar nichts. Das ist weniger als nichts. Von gestern. Bedeutungslos. Einfach erledigt.

Wie man jemals glauben konnte, speziell dieser Kaffee hätte richtig sein und sogar Genuß bereiten können - unbegreiflich. Deshalb kann man kalten Kaffee auch nicht aufwärmen. Er schmeckt einfach nicht mehr. Er hat seine Zeit gehabt und ist nicht mehr trinkbar. Bitter und widerlich. Letztlich bleibt einem nichts übrig, als ihn wegzuschütten und neuen aufzubrühen.

So allgemeingültig ist diese Weisheit, so unwidersprochen und fraglos anerkannt, daß sie bestimmt falsch ist. Prüfen wir sie.

Am ersten Tag brühe ich eine Kanne Kaffee auf und trinke eine Tasse. Den Rest lasse ich in der eingeschalteten Kaffeemaschine, auf der heißen Grundplatte, die ganze Nacht. Am nächsten Morgen ist der Kaffee noch heiß. Aber absolut ungenießbar. Er schmeckt bitter und ungesund, so als habe er sich in der stetigen nächtlichen Hitze aus purem Ekel vor den sich trotz innerem Wandel, trotz der natürlichen Entwicklung aller Dinge nicht verändernden äußeren Umständen zusammengezogen und alles Schlechte in sich übersteigert, um den Menschen abzustoßen, der ihn am nächsten Morgen trinken will. Die Berührung, die Vereinigung im wonnevollen Genuß scheint beiden, dem Kaffee und dem Menschen gleichermaßen, zuwider geworden zu sein. Man will sich einfach nicht mehr. So ist es, wenn man glaubt, in der ursprünglichen Temperatur allein bewahre sich die Frische der ersten Begegnung, die Größe des Genusses, und also bemüht man sich verengten Blickes, den Kaffee heiß zu halten, einfach nur um der Hitze willen, die damals ein wesentlicher Teil der gemeinsamen Wonnen war.

Am zweiten Tag stelle ich die Kanne, nachdem ich die erste Tasse getrunken habe, in den Kühlschrank. Die ganze Nacht. Am nächsten Morgen ist der Kaffee eiskalt. Ich gieße ihn in einen Topf und erhitze ihn auf der Herdplatte. Bis er dampft und duftet. Und siehe da - er schmeckt wunderbar! Nichts Bitteres ist in ihm, nichts Abstoßendes. Die Ruhe der Nacht, die Abkühlung, ja, die bewußte Abkehr von dem, was ursprünglich war, haben ihm gut getan und sein frisches Aroma bewahrt. Die Hitze, mit der er nun wieder trinkbar gemacht wird, ist neu, frisch und unverbraucht. Frei von dem Versuch, durch ertrotzte äußere Umstände die Qualität seiner Innerlichkeit bewahren zu müssen, kann sich das ausgeruhte, ungezwungene Aroma neu auf die Begegnung mit dem Menschen einlassen, und siehe da, der Genuß ist ungebrochen. Die Pause, die Abkühlung, die Veränderung des Anspruchs haben gut getan.

Es stimmt also nicht - kalten Kaffee kann man sehr wohl aufwärmen. Man tut sogar gut daran, ihn kalt werden zu lassen. Schlecht wird er erst, wenn man ihn dazu drängt, gefälligst heiß zu bleiben, obwohl dies irgendwann seinem Wesen nicht mehr entsprach. Loslassen, abkühlen. Und dann neu, ganz neu und intensiv genießen.

So ist das mit kaltem Kaffee.

Sonntag, 1. Dezember 2013

Advent

'Ankommen, endlich ankommen', dachte die Sehnsucht und gebar einen Plan, den sie mit Hoffnung nährte. Einen Plan, wie das eine große Ziel zu erreichen sei: der Platz im Leben, an den man gehört und an dem alles Hasten und Streben ein erholsames Ende findet. Das Glück, so dachte die Sehnsucht, liegt in der Ruhe. Im Nichts-mehr-suchen.

Manchmal glaubte die Sehnsucht, ihn am Horizont zu sehen, diesen Platz. Er waberte undeutlich vor ihren müden Augen umher und verflog, noch ehe sie sich nähern konnte.

Manchmal kam sie tatsächlich irgendwo an, fest überzeugt davon, den Platz gefunden zu haben. Doch schon bald ergriff sie neuerlich jene Ruhelosigkeit, die nur ein unerreichtes Ziel verursacht, und traurig gestand sie sich ein, wohl doch noch nicht gefunden zu haben, was sie suchte. Abermals hastete sie los.

Manchmal kam sie vielleicht sogar tatsächlich am Sehnsuchtsziel an und konnte, kaum daß die Erschöpfung der Suche nachgelassen hatte, den Stillstand einfach nicht ertragen. Oder sie war zu blind, das Glück zu begreifen, das vor ihr lag. Und wieder machte sie sich auf den Weg.

Vielleicht ist aber die ganze Idee vom Platz ein Irrtum. Vielleicht liegt das Glück des Ankommens nicht darin, ein Ziel zu finden, sondern den richtigen Weg zu gehen, einen Weg, der Ruhe und Beständigkeit gewährt, ohne Stillstand zu verlangen, einen Weg, der so erfüllend ist, daß kein Bedürfnis mehr entsteht, sich in Seitengassen zu verirren, unüberlegte Abkürzungen zu nehmen oder dumme, ziellose Umwege zu gehen. Einen Weg, den man teilen und gemeinsam gehen kann.

Wer seinen eigenen, richtigen Weg geht, ist bereits angekommen.