Donnerstag, 14. Juli 2011

Bundeshymne

Derzeit wird die Änderung der österreichischen Bundeshymne diskutiert. Statt der Zeile "Heimat bist du großer Söhne" soll es nunmehr heißen "Heimat großer Töchter, Söhne".
Da neben dieser schrecklichen sexistischen Diskriminierung noch weit mehr Formulierungen einer zeitgemäßen Aktualisierung bedürfen (werden durch die Nennung der Berge doch die Täler und durch die Erwähnung der Dome die Synagogen diskriminiert; ebenso die armen Wiesen und Parkplätze, die hinter den besungenen Äckern zurücktreten, oder die vielen fleißigen Werkzeuge, die im Text sprichwörtlich unter den Hammer kommen!), erlaube ich mir folgenden Vorschlag einer politisch korrekten Version des Textes. Auf Versmaß und Reim wurde zunächst keine Rücksicht genommen; das kann man bestimmt noch bißchen glätten.

Territorial-politische Einheit pluralistischer Landschaftsformationen,
territorial-politische Einheit an einem Abschnitt eines europäischen fließenden Binnengewässers,
territorial-politische Einheit polymorpher Bodenstrukturen
und vielfältiger Baulichkeiten zur Ausübung religiöser Überzeugungen und Rituale,
territorial-politische Einheit jeder Art von Werkzeug und anderer Produktionsmittel
mit tendenziell kalkulierbarer temporaler Perspektive!
Soziokultureller Hintergrund bist Du normüberschreitender Abkömmlinge,
Einwohnerschaft mit überdurchschnittlicher Begabung für ästhetisch als ansprechend Tolerierbares,
international positiv rezipiertes Österreich.

Donnerstag, 7. Juli 2011

Der Zweifelturm

Welch imposantes Konstrukt doch der Zweifelturm ist! Kaum ein berühmteres Bauwerk scheint es auf Erden zu geben, denn jeder, wirklich jeder kennt ihn! Seine Form ist unverkennbar: Auf vier gewaltigen Füßen ruhend, die in einem großflächigen Quadrat angeordnet sind, reckt er sich, immer schmaler werdend, in die Höhe. Drei der Füße stehen auf dem Fundament tiefer Zweifel an den Mitmenschen - dem Zweifel an ihrer Wahrhaftigkeit, ihrer Fähigkeit und ihres Nutzens. Der vierte Fuß ist auf den stärksten Grund gebaut - den Selbstzweifel.

Der Zweifelturm ist eine luftige und doch komplexe Stahlfachwerkonstruktion, ein Meisterwerk unserer gedanklich-emotionalen Ingenieurskunst, rostanfällig durchaus und ohne Wartung eines Tages einsturzgefährdet, aber nichts pflegen wir ja bekanntlich so liebevoll wie unsere Zweifel, und also darf angenommen werden, daß der Turm in alle Ewigkeit steht. Vier riesenhafte, nach innen geneigte und die Gesamtform damit verjüngende Bögen spannen sich zwischen den Füßen und tragen die erste Plattform, auf der stehend man seinen Zweifeln noch ganz nah ist und sozusagen vollständig auf ihnen ruht.

Von dort streben die vier Schenkel weiter nach oben und verbinden sich bald zur zweiten Plattform, die der sich verjüngenden Form des Bauwerks wegen schon viel kleiner und von den grundlegenden Zweifeln weiter entfernt ist. Wer möchte, kann von hier in einen anderen Aufzug umsteigen und bis in die Spitze hinauffahren.

Oberhalb der zweiten Plattform haben sich die vier Schenkel des Zweifelturms zu einer hohen Turmspitze vereinigt, die, sich nur noch gelinde verjüngend, in Richtung Himmel strebt. Wer es wagt, seinen Aufstieg hier fortzusetzen, hat die Chance, sich von seinen Zweifeln sehr weit zu entfernen, dem Himmel ein gutes Stück näher zu kommen und die schweren, drückenden Fundamente und Bögen am Fuß des Turms zu vergessen, ja, ein bißchen frei zu werden.

Natürlich weiß man nach wie vor, auf welchem Bauwerk man sich befindet, und worauf es fußt. Und ohne diese Konstruktion hätte man die luftigen Höhen der Turmspitze nicht erreicht. Niemand vermag, einfach so in einem zweifelsfreien Himmel zu schweben. Aber nicht am Boden zu verharren und stattdessen seine Zweifel zu nutzen, um über sie hinwegzuklettern - das ist das Geheimnis der grandiosen Aussicht, der neuen und weiteren Perspektive auf die Welt, auf das Leben, die man von der obersten Plattform genießt.


Sonntag, 3. Juli 2011

Eine Nachtmar

Es ist Nacht. Ich wache auf vom leisen Murmeln in meinem Kopf. So beginnt es immer. Angst beschleicht mich, denn ich weiß schon, was jetzt kommt – die schlimmste, die grausamste Plage von allen: meine eigenen Gedanken. Nacht für Nacht suchen sie mich heim, bösen Geistern gleich, die zu ewigem Spuk verdammt sind, um mich zu quälen.

Schon zieht sich die düsterste Stimmung über mir zusammen, schon umwogen mich leidvolle, schmerzliche Gedanken wie ein Meer aus schwarzem Gift, aus dem es böse flüstert:
„Du kriegst nicht, was Du Dir ersehnst...“
Und eine kalte Verzweiflung, ein namenloses Leid breitet sich in meiner Brust aus und lähmt meine Glieder.

Ängstlich pocht mein Herz, als wolle es sich freiklopfen von den Übeln, die es kalt umwehen. Die immer gleichen, schrecklichen Bilder erheben sich aus dem Dunkel, die Bilder von ihr und ihm, dem meine Träume erfüllt wurden, dessen Begehren über meine Liebe triumphiert hat, und lauter wird das Flüstern, höhnisch und bedrängend:
„Sie ist nicht Dein... sie war es nie und wird’s nie sein... Er aber hat sie. Er darf sie spüren, teilt ihr Leben... und auf die intimste, wonnevollste Weise darf er sich mit ihr vereinen...“
„Nein!“ wispere ich, „nein, bitte nicht...“
Aber er küßt sie und genießt sie trotzdem, und sie läßt es geschehen. Manchmal lächelt sie mich dabei böse an.

Übelkeit verschnürt meine Kehle... und doch lassen sie mich nicht los, die Gedanken, die Bilder... Sie umschweben mich, sie durchzucken mich, immer heftiger wird ihr erbarmungsloser Wirbel, und wie eine geschickt gelegte Fessel ziehen sie sich enger um mich zusammen, je mehr ich mich gegen sie wehre. Alle Freude, alle Hoffnung und Zuversicht weicht von mir; alles Gute in meinem Leben scheint im giftschwarzen Meer zu versinken, verschluckt von hämischen Wellen, die jetzt mit ihrer geliebten, süßen Stimme säuseln:
„Zuckersternchen... Du warst einfach nicht richtig.“
Es tut so weh, und ich kann nichts dagegen tun. Mein eigener Kopf peinigt mich, herzlos, weil Köpfe nun mal keine Herzen sind, und ohne Schonung.

Irgendwann schlafe ich ein. Nicht aus Ruhe, sondern aus Verzweiflung. Ich flüchte in den Schlaf. Manchmal wache ich nach solchen Nächten auf und frage mich, ob ich auf eine bizarre Art süchtig nach meinem eigenen Leid bin. Alles, was mich quält, ist in mir. Meine Erinnerungen, meine zerstörten Hoffnungen, meine enttäuschten Träume und unerfüllten Sehnsüchte. Sie erwachen jede Nacht, lösen sich aus mir heraus und führen ihren grauenvollen Tanz vor mir auf. Aber sie sind in mir. Ich sollte sie beherrschen, nicht umgekehrt. Vielleicht gelingt es mir ja heute nacht.

Vielleicht.