Donnerstag, 30. Juni 2011

Das Böhnchen II

Ein Böhnchen liegt am Meeresgrund
und fühlt sich dort nicht wohl.
Um sich nur Kälte, Dunkelheit.
Das Leben scheint ihm hohl.

So mag das Böhnchen nicht mehr sein,
und drum, mit letzter Kraft,
erhebt es sich vom nassen Grund
und geht auf Wanderschaft.

Es kriecht sich frei, es schwimmt empor
in helle Wasserhöh'n,
und wie es Licht und Wärme spürt,
wird's Leben wieder schön.

Und endlich wird es angespült
ans trockenwarme Land,
und wie vor langer Zeit schon mal
befindet's sich am Strand.

Doch will es dort nicht bleiben, nein!
Vom Meer und seinem Trug,
seiner Verführung, seinem Schein
hat's Böhnchen längst genug.

So wandert's weiter, tief ins Land,
durch Felder, Wiesen, Wald
und macht erst vor der steilen Wand
der blauen Berge halt.

Jetzt oder nie!, so sagt es sich
und fängt zu klettern an -
ein steiler Weg, von dem's nicht weiß,
ob es ihn schaffen kann.

Und sieh!, es fällt ihm spielend leicht!
Berauscht durch seinen Mut
kommt bald es auf dem Gipfel an
und fühlt sich frei und gut.

Nie hätte es am Meeresgrund
gedacht, daß es das schafft!
Auf seines Lebens Gipfel steht
es nun aus eig'ner Kraft!

Und hinter diesem Berg im Licht
liegt morgenfrisches Land,
ein Paradies, das es durch nichts
als starken Willen fand.

So lohnt es sich zuweilen schon,
vom Boden aufzusteh'n
und gegen alle Zweifel doch
den steilen Weg zu geh'n!

Freitag, 24. Juni 2011

Niemals

"Niemals!" sagte man mir neulich, "Um kein Geld der Welt!" Und damit war das Thema beendet, ein Thema freilich, das mich ohnehin nicht wirklich interessiert hat. Geärgert hat mich die Aussage trotzdem.

Denn es gibt ein paar Schlüsselwörter, die mich von jeher bis aufs Blut reizen und mit denen ich absolut nicht umgehen kann. "Niemals" gehört dazu. Genau wie "Du sollst" oder alles, was mit "dürfen" zu tun hat. Ich ertrage einfach die kategorische Begrenzung von Möglichkeiten nicht, und seien diese auch rein theoretisch. Mögliche Verläufe mit der kalten, starren Axt des unverrückbaren Prinzips abzuhacken und ihnen damit nicht nur als praktisches Geschehen, sondern sogar als gedankliches Konstrukt das Existenzrecht abzusprechen, erscheint mir wie ein grausames Gemetzel an allem, was denkbar ist, an der unendlichen Vielfalt von Möglichkeiten, von Ideen und Phantasien, aus der ja auch die Kunst, die Literatur ihre Inhalte schöpft...

Es ging mir schon als kleines Kind so - nicht ganz einfach für meine Eltern. Ich haßte von jeher Verbote, gleich, welchen Gegenstand sie betrafen. Und zwar nicht, weil ich alles, was mir verboten ward, tun wollte. Keinesfalls! Es leuchtete mir durchaus ein, daß manches besser nicht zu tun sei. Aber ich wollte nichts nicht dürfen. Was ich durfte, habe ich in der Regel ohnehin nicht getan; es hatte seinen Reiz allein darin, es tun zu dürfen. Die Umsetzung war, gemessen an der theoretischen Möglichkeit, fast banal und unwichtig. Aber verboten sein sollte nichts, und nichts sollte von vornherein, kategorisch und "um kein Geld der Welt" ausgeschlossen sein.

Das macht mich bis heute extrem unruhig. Ich empfinde es als äußerst arrogant, etwas derart absolut auszuschließen, maßt man sich damit doch an, all die tausend unberechenbaren Faktoren, alles Unerwartete und alles Überraschende, das dem Leben an sich und jeder einzelnen Situation immer wieder plötzlich eine völlig neue Wendung geben kann, unfehlbar beurteilen zu können und von vornherein als undenkbar, nichtig und wertlos für die Gestaltung des Zukünftigen abzustempeln. Dergleichen erregt meinen instinktiven Widerstand und macht eine praktische Verbotsübertretung viel wahrscheinlicher als die Verwirklichung von etwas an sich Erlaubtem, einfach nur, um der gebannten Möglichkeit auf rebellische Weise doch noch ihr Recht zu geben.

Die Vielfalt der Möglichkeiten, die Pluralität des Denkbaren, so glaube ich, ist es doch letztlich, die das Leben reizvoll und einigermaßen lebenswert macht. Nicht nur, aber auch.

Dienstag, 21. Juni 2011

Das Hohelied der Lücke

(Frei nach 1. Kor 13, 1-7)

Ich rede mit Menschen- und mit Engelszungen, doch ich habe die Liebe nicht, und also bin ich ein tönendes Erz, eine klingende Schelle. Ich rede prophetisch, kenne alle Geheimnisse und habe alle Erkenntnis, und ich habe den Glauben, daß ich Berge versetzen kann, doch ich habe die Liebe nicht, und also bin ich nichts. Und gäbe all meine Habe den Armen und ließe meinen Leib verbrennen, ich habe doch die Liebe nicht, und also ist mir's nichts nütze.

Die Liebe, so steht es geschrieben, sei langmütig und freundlich, die Liebe eifere nicht, die Liebe treibe nicht Mutwillen, sie blähe sich nicht auf, sie verhalte sich nicht ungehörig, sie suche nicht das Ihre, sie lasse sich nicht erbittern, sie rechne das Böse nicht zu, sie freue sich nicht über die Ungerechtigkeit, sie freue sich aber an der Wahrheit; sie vertrage alles, sie glaube alles, sie hoffe alles, sie dulde alles.

Ja. Muß schön sein.

Freitag, 17. Juni 2011

Einziger Sinn

(Ein literarischer Kuß)

Was ist's, das haltend mich noch kettet an dies Leben?
Die Seelen sind's, die mir verwandt. Die mir verbunden, liebend zugetan!
Das Wissen um die Bande, die mich halten - nicht grausam ist's, doch tröstend Sinn mir spendend.
Und nie, geliebte Freundin, möchte ich Deiner mehr entbehren, bist Du doch der rettenden Seelen mir die nächste.

Mittwoch, 8. Juni 2011

Dichterleben

Bleischwer hingen die Wolken über der Stadt; der Regen war längst überfällig. Ernst-Rüdiger saß am Fenster und zerknüllte ein eng beschriebenes Blatt Papier.
"Potzblitz!" murmelte er, "das Gedichtlein, der Liebsten Herz zu erweichen, will mir nicht recht gelingen!"
Dann stand er auf, öffnete das Fenster und sprang hinaus. Und zusammen mit Ernst-Rüdigers Kopf schlug endlich auch der erste Regentropfen auf dem Pflaster auf.