Dienstag, 31. August 2010

Das Meer

Jedesmal berührt, erfaßt, durchspült es mich - das Meer. So vielfältig ist es beschrieben und besungen worden, daß ich mich fast scheue, ihm einen eigenen Text zu widmen - als Ursprung des Lebens und als Verführung zum Tode, als Sinnbild der Leidenschaft und zugleich der ewig sich wiederholenden Gleichförmigkeit des Seins.

Mir ist das Meer ein alter Freund. Seine unendliche Weite, sein ewiges Rauschen, seine Launen, seine Tiefe und Unergründlichkeit... all das sind Eigenschaften, die ich als anziehend und verwandt empfinde, und die mir Ruhe und Kraft geben.

Vielleicht, weil die Seele genau die gleichen Eigenschaften besitzt. Wie das Meer rauscht sie tief und unergründlich in uns, ist mal sanft und perlend, mal zerstörerisch tobend, nährt das vielfältigste Leben unserer Innerlichkeit und vernichtet es im nächsten Moment, und so gern sie Menschen an sich heranläßt, ja in sich aufnimmt, auf daß sie sich erfrischen und erfreuen, so einsam bleibt sie im Grunde immerdar.

Es mag Zufall sein, daß das Wort "Seele" mit "See" beginnt. Aber es kommt mir gerade sehr sinnig vor.


Dienstag, 17. August 2010

Ein Lied in allen Dingen

Momentweise habe ich sie noch, jene intensive Weltwahrnehmung, die mir als Kind ganz alltäglich war. Alles schien mir damals beseelt, das Wesen eines jeden Gegenstandes, jeden Ortes und jeden Geschehens spürbar.

Sachen, die von Menschen gemacht wurden, enthielten für mich ohnehin stets ein Stückchen des schöpferischen Geistes und der handwerklichen Hingabe, die jemand darauf verwendet hatte, aber auch natürliche Dinge wie heruntergefallene Äste oder Steine am Wegesrand erschienen mir von einem universellen, göttlichen Geist durchdrungen, der alles zusammenhielt und allem Sinn gab. Das Welken eines braunen Blattes etwa, das im Herbst zu Boden gefallen war, erschien mir edel, weil es damit erstens einem höheren lebenszyklischen Sinn diente, und sich zweitens obendrein bemühte, zu jener wundervollen Herbststimmung beizutragen, die ich so liebte. Ich konnte all das spüren, und still dankte ich dem Blatt für sein rührend-schönes Opfer.

Wenn ich auf einem Spaziergang einen Stock aufsammelte, um eine Weile damit zu gehen oder zu spielen, war ich schon nach Minuten nicht mehr imstande, ihn wieder wegzuwerfen, nicht etwa, weil ich ihn unbedingt hätte haben wollen - meistens wurde er mir sogar recht bald lästig - sondern weil ich eine weltgeistige Beziehung zu ihm entwickelt hatte und vermutete, daß dies irgendwie, und sei es auf einer höheren Ebene, auch umgekehrt der Fall sei, daß also der Stock, nachdem er mit mir in Berührung gekommen war und mich ein Stück Weges begleitet hatte, nicht mehr nur ein beliebiges Stück Holz war, das sich beim Wegwerfen sogleich wieder in den Waldboden einfügen würde, sondern mich vielmehr "vermissen" und sich verstoßen fühlen werde.

Heute ist meine Weltwahrnehmung natürlich ein wenig abgestumpft, und die kindliche Vorstellung davon, daß alles lebt und fühlt und denkt, ja daß man nur ein Zauberwort zu treffen habe, um die Welt zum singen zu bringen, ist einer etwas pragmatischeren Sicht der Dinge gewichen. Und dennoch ertappe ich mich dabei, mich von vielen Dingen nicht trennen zu wollen, weil sie mir "leid tun", oder mich bei einem Hotelzimmer zu verabschieden und für die Beherbergung zu bedanken, wenn ich es mit gepackten Koffern verlasse...

Ich lächele dann meist über mich selbst, über das Kind in mir. Es ist schon ein wenig exzentrisch. Aber ganz verlieren möchte ich den Glauben an die Beseeltheit der Welt denn doch nicht.


Samstag, 14. August 2010

Experiment 1 - Drei Bilder

1.
Ein Haar bricht ab.
Heraus tropft Blut.
Ist das normal?

2.
Licht fällt auf die Hand.
Das ist ihr peinlich.
Dem Licht nicht.

3.
Regen spritzt aus dem Boden
und flieht in die Wolken.
Die Blumen schütteln den Kopf.
Wasser ist doch dumm.

Freitag, 13. August 2010

Von Altem und Neuem

Das Leben, so wenig originell diese Feststellung ist, besteht aus vielen Veränderungen, und so erscheint es durchaus sinnvoll, einzelne Lebensphasen danach zu unterscheiden, was sie prägt, was während ihrer Dauer richtig und wichtig erscheint und was irgendwann im Reich der Erinnerungen versinken muß, sei es, weil es seinen Zweck erfüllt hat, sei es, weil es uns nicht mehr gut tut, sei es auch, weil sich etwas Neues, etwas Besseres entwickelt hat.

Oft jedoch, wenn eine Gegebenheit wichtig und prägend war, fällt es nicht leicht, sie abzuschließen und zu überwinden. Unserer rationalen Erkenntnis ist längst bewußt, daß wir loslassen und einen Schritt weiter gehen sollten, aber bis diese Einsicht endlich auf die Handlungsebene durchsickert, vergeht Zeit.

Viele Menschen argumentieren in solchen Phasen, sie seien für Neues nicht offen, da sie schließlich das Alte noch zu überwinden im Zuge seien. Neue Möglichkeiten, so sagen sie, kämen in diesen Phasen einfach zur falschen Zeit. Eine Weile lang ist das auch absolut verständlich, aber irgendwann läuft man Gefahr, dieses Argument zur Ausrede für die eigene Unbeweglichkeit zu machen.

Denn etwas Altes überwinden zu wollen, indem man sich gegen das Neue sperrt, und damit ein inneres Vakuum zu schaffen, in dem der Trennungsschmerz auf nicht absehbare Zeit weitergären kann, erscheint widersinnig, und ein Mensch in dieser Situation sollte zumindest den Gedanken zulassen, daß das ausgerechnet im Umbruch sich darbietende Neue nicht nur nicht zur falschen, sondern sogar genau zur richtigen Zeit ins Leben gekommen sein könnte, ja, ob nicht, etwas pathetisch ausgedrückt, neue Möglichkeiten ein Angebot des Schicksals an uns sind, genau das zu bekommen und anzunehmen, was wir gerade brauchen, ohne daß wir uns dessen bereits völlig bewußt sind.

Die Frage also, die wir uns in jeder Umbruchphase unseres Lebens stellen sollten, ist, ob wir allen sich unerwartet ergebenden Möglichkeiten zum Trotz auf der prinzipiellen Entscheidung beharren, gerade nicht offen zu sein, oder ob wir uns zumindest insoweit auf das Neue einlassen als wir den Gedanken an seine mögliche Richtigkeit zum Teil unseres Entwicklungsprozesses machen und vielleicht gerade dadurch endlich vom Alten loskommen.

Donnerstag, 12. August 2010

Nacht der Sternschnuppen

Nacht der Sternschnuppen, Nacht der Wünsche... Nacht vielleicht auch der Enttäuschungen, denn oft genug verglühen unsere hochfliegenden Wünsche in der Atmosphäre des Lebens wie eben jene Meteoritentrümmer, die so gar nichts von einem Stern haben und uns in der Schönheit ihrer Erscheinung doch nur Zeugen ihres Vergehens werden lassen - welch wunderbar faustisches Opfer!

Doch die wunscherfüllende Wirkung der Sternschnuppen bleibt ein Aberglaube, und so rührend dergleichen ist, so lebensfern ist es auch. Gewiß mag es mehr Dinge zwischen Himmel und Erde geben, als sich unsere Schulweisheit träumen läßt - ohne diese Überzeugung wäre mir das Leben unendlich fad. Aber um sich etwas zu wünschen, braucht man keine Sternschnuppe. Das darf man immer. Und wenn man dem Wunsch das Bemühen um Erfüllung beigesellt, das leidenschaftliche Streben und Werben darum, daß das Gewünschte wahr wird, dann lebt man ganz bei sich und wird verschmerzen können, wenn man hier und da vergebens sich bemüht. Nur unversucht darf man es nicht lassen.

Über Wien sind übrigens keine Sternschnuppen zu sehen. Die Stadt ist zu hell, zu stumpf vielleicht gegen die Feinheit kosmischer Erscheinungen. Aber das macht nichts. Ich wünsche mir trotzdem etwas. Und ich werde mich nach Kräften darum bemühen.

Montag, 9. August 2010

Sinn und Seligkeit

Neulich wollte jemand, der gerade mit einer bestimmten Lebenslage haderte, von mir wissen, ob man nicht einen Teil seines Herzens zu Eis mache, wenn man sich angewöhne, nicht immer alles verstehen zu müssen.

Nun - schon die Frage ist irreführend. Denn man gewöhnt sich das Nichtverstehenmüssen ja gar nicht an. Vielmehr akzeptiert man lediglich die Tatsache, daß man ohnehin nicht alles verstehen kann. Das Leben ist hochkomplex, und die Menschen sind nun mal verschieden. Kaum ein Verhalten folgt einer Logik, und wenn doch, dann einer sehr individuellen, die von ganz persönlichen Erfahrungen geprägt und damit für andere nicht nachvollziehbar ist.

Dabei ist der Drang, alles verstehen zu wollen, durchaus nachvollziehbar. Man möchte das Leben verstehen, um es zu ertragen. Denn an sich ist es ja eine Zumutung! Man wird ungefragt auf die Welt geworfen, und je älter man wird, desto mehr Aufgaben und Probleme stellen sich. Wir rackern uns ab, suchen nach dem Sinn und wünschen uns ein Stückchen Glück. Den Sinn glauben wir nur zu finden, wenn wir alles, was geschieht, irgendwie begründen können. Das Leben aber verläuft nicht anhand starrer Muster, sondern wabert herum und nimmt oft unberechenbare Wendungen, die uns enttäuschen oder verletzen, weil sie unserer Denk- und Erwartungslogik nicht entsprechen. Und genau so verhalten sich die Menschen. Damit kann man hadern – oder man kann es akzeptieren und in jedem Rückschlag eine Chance auf positive Veränderung sehen. Und schon ist man dem Sinn des Lebens und dem Glück ein Stückchen näher.

Wenn wir also akzeptieren, daß Menschen immer wieder auf eine uns absolut nicht erklärbare Weise handeln, dann vereisen wir nicht unser Herz, sondern wir erwärmen es sogar mit einer großmütigen, verständigen Toleranz gegenüber dem unsagbar menschlichen Faktum, daß nun mal einjeder anders tickt und nicht zwingend unseren Erwartungen entsprechen muß. Nicht alles verstehen zu müssen wird somit zu einer höheren Stufe der Menschlichkeit.

Donnerstag, 5. August 2010

Ein neuer Tag

Ein neuer Tag, ein neues Leben. Alles strahlt, als habe jemand den Himmel frisch gestrichen, ihm kunstvoll kleine Wölkchen aufgetupft und nebenbei noch schnell die Sonne poliert. Die Luft ist klar, die Bäume duften.

Ich bin allein. Meine Seele hat sich gehäutet und schnuppert zart, verletzlich, behutsam und doch neugierig ins Leben hinaus...

Kein Zwang, etwas zu tun. Kein Druck, etwas zu erreichen. Leidenschaft muß sich nicht zwingen. Begeisterung braucht keinen Druck. Das Leben geschieht. Es wabert verspielt umher wie eine Qualle, der man gelegentlich einen kleinen Schubs gibt, um die Grundrichtung zu wahren. Packt man sie und stößt sie grob voran, wird sie niemals ihre elegante Leichtigkeit und jene unbeschreibliche Schönheit entfalten können, zu der sie in der schwerelosen Freiheit ihres Elementes veranlagt ist.

Alles findet sich. Heute ist ein neuer Tag.

Mittwoch, 4. August 2010

Leben

Leben:
Liegen, lernen, laufen, lachen.
Löchern, loben, lästern, laben.
Lodern, lieben, leiden, lassen.
Locken, lagern, lecken, lutschen.
Lügen, lösen.
Legen.
Lüften.

Dienstag, 3. August 2010

Groß sein

Groß sein ist toll! Man ist erwachsen (oder wird zumindest allenthalben so wahrgenommen) und darf deshalb alles tun, was man als Kind nicht durfte. Zum Beispiel kann mir heute niemand verbieten, um 2 Uhr nachts einen Liter Vanilleeis zu essen, wenn mir spontan danach ist. Oder lange aufzubleiben. Oder Kaffee oder Alkohol zu trinken.

Und dennoch, so seltsam das ist, muß ich auch heute immer erst den Reflex überwinden, das ja eigentlich nicht zu dürfen.

Dabei bin ich nicht allzu streng oder gar autoritär erzogen worden. Aber es gab doch klare Grenzen und Regeln, und manches war aus durchaus vernünftigen Gründen eben nicht gestattet. In Unmengen und zu Unzeiten Eis zu essen zum Beispiel, wirft ja nun unbestritten sowohl medizinische als auch moralische Probleme auf, und so wurde mir dergleichen eben mit liebevoller Strenge untersagt.

Heute hingegen entscheide ich über diese Dinge selbst, und wenn die kindliche Lust im entscheidenden Moment alle gesundheitlichen und ethischen Bedenken überwältigt, dann esse ich eben Eis! Das Schöne daran ist, daß sich das Kind in mir die Hemmschwelle jener heimlichen Einsicht, dergleichen nicht tun zu sollen, bewahrt hat und umso lustvoller und bewußter den Bannkreis kindlicher Reglementiertheit durchbrechen und ungehindert in die freie Sphäre erwachsener Autonomie eindringen kann...

Die Freude darüber durchrieselt mich jedesmal aufs Intensivste. Sie ist nur dem Gefühl vergleichbar, das man als Kind hatte, wenn etwas an sich Verbotenes ganz unerwartet und ausnahmsweise doch gestattet wurde.

In Gegenwart meiner Mutter machen derartige Grenzüberschreitungen übrigens noch mehr Spaß! Sie versucht natürlich (wie alle Mütter auf der Welt) immer noch, mir nahezubringen, was gut und was schlecht für mich ist, und ich finde das süß und liebe sie sehr dafür. Und ich bin ihr dankbar für die Regeln und Grenzen, die sie mir als Kind auferlegte, denn sie befähigen mich heute dazu, die Freude an den Dingen, die ich mir gönne und gewähre, viel intensiver und bewußter zu empfinden, als wenn alles schon immer selbstverständlich gewesen wäre.

Danke, Mülein. Groß sein, wenn man sich ein wenig klein zu halten weiß, ist wirklich toll.

Montag, 2. August 2010

Möglichkeiten

Mit dem Zählen der Sandkörner in der Wüste bin ich fertig. Es sind weniger als ich dachte. Nun sitze ich auf dem Rand des Universums und lasse die Beine ein wenig im Nichts baumeln. Das kribbelt immer so schön.

Vielleicht pflücke ich mir einen Stern vom Himmelszelt - einen, der noch strahlt, und nicht einen längst ausgebrannten, der uns mit jahrtausendealtem Licht belügt - und erhelle mir damit den Weg zum Ende des Regenbogens. Ich könnte mir ein Einhorn fangen und hinreiten; das habe ich lange nicht mehr gemacht.

Heute traue ich mir alles zu, und nichts scheint unmöglich. Wie kommt das nur?